LSJ
ον, gen. ονος, (< δάϊς) (warlike, fiery, Il. 2.23, al. (not in Od.); Λατοῦς θυγάτηρ B. 5.122, cf. 137, Q.S. 1.47; δ. ἀλκή Id. 1.218. (< δαῆναι) wise, prudent, Ὀδυσῆα δ. ποικιλομήτην Il. 11.482, cf. Od. 1.48, al. ; of a charioteer, Il. 24.325; craftsman, Od. 8.373; of a woman, 15.356; hence δ. Περσεφόνεια h.Cer. 359, cf. Pi. P. 9.84. (δα(σ)ι, cf. Skt. dasrás ΄working miracles΄.)
Liddell-Scott-Jones, Greek-English Lexicon (9th ed., 1940)
Pape
ον, Homerisches Epitheton von Personen. Formen : δαΐφρων, δαΐφρονος, δαΐφρονι, δαΐφρονα, vocativ. δαΐφρον Il. 4.93, 5.277, vgl. Scholl. Herodian. Il. 3.182. Die Bedeutung kann sein : 1) tapfer, kriegerisch, 2) klug, verständig. Vgl. z.B. Scholl. Od. 1.48 δαΐφρονι : πολεμόφρονι. δαΐς γὰρ ἡ μάχη. ὅταν δὲ ἐπὶ τῆς Πηνελόπης λέγῃ. δεδαηκυίᾳ κατὰ φρένας, τουτέστι μεμαθηκυίᾳ, ἐξ οὗ τὴν συνετὴν καὶ σώφρονα βούλεται δηλοῦν. Beide Bedeutungen lassen sich vielleicht nicht scharf sondern ; vgl. Od. 2.61 οὐ δεδαηκότες ἀλκήν, Il. 6.444 ἐπεὶ μάθον ἔμμεναι ἐσθλὸς αἰεὶ καὶ πρώτοισι μετὰ Τρώεσσι μάχεσθαι. Vielleicht ist eine gemeinsame Grundbedeutung anzunehmen, vielleicht kommt die so häufige Homerische Figur der Katachrese ins Spiel. Entschieden zu verwerfen ist die Ansicht Buttmanns Lexilog. 1 S. 200, das Wort δαΐφρων habe in der Ilias durchweg (eine vereinzelte Stelle abgerechnet) die Bedeutung »kriegerisch«, in der Odyssee eben so durchweg die Bedeutung »einsichtsvoll«. Es ist ein Irrtum einer früheren Periode der Homerischen Forschung, daß in dieser Weise die Odyssee auch sonst sprachlich der Ilias gegenüberstehe. Beide Gedichte oder vielmehr Gedichtsammlungen bestehen aus einer Reihe von Liedern verschiedener Dichter, und manche Lieder der Odyssee sind verwandter mit einzelnen Liedern der Ilias als mit den andern Liedern der Odyssee. Erst dann, wenn alle diese Lieder beider Sammlungen genauer gesondert sein werden, läßt sich feststellen, welchen Begriff jedes einzelne Lied mit δαΐφρων verband. Vielleicht wird sich dann zeigen, daß ein oder das andere Lied gar keinen klaren Begriff mit δαΐφρων verband. Vgl. ἀμύμων und βλεμεαίνω. Bei der Untersuchung über δαΐφρων wird jedenfalls vor Allem auf das formelhafte Wesen der Homerischen Poesie und die Entlehnungen und Nachahmungen Rücksicht zu nehmen sein. Ein deutliches Beispiel bietet die Formel Ὀδυσῆα δαΐφρονα ποικιλομήτην : Od. 22.115 ἔσταν δ' ἀμφ' Ὀδυσῆα δαΐφρονα ποικιλομήτην, 202 βήτην εἰς Ὀδυσῆα δαΐφρονα ποικιλομήτην, 281 τοὶ δ' αὖτ' ἀμφ' Ὀδυσῆα δαΐφρονα ποικιλομήτην, Od. 3.163 ἀμφ' Ὀδυσῆα ἄνακτα δαΐφρονα ποικιλομήτην, Od. 7.168 χειρὸς ἑλὼν Ὀδυσῆα δαΐφρονα ποικιλομήτην, Il. 11.482 ὥς ῥα τότ' ἀμφ' Ὀδυσῆα δαΐφρονα ποικιλομήτην. Eine andere Formel ist υἱὲ δαΐφρονος ἱπποδάμοιο : εὕδεις, Ἀτρέος υἱὲ δαΐφρονος ἱπποδάμοιο Il. 2.23, 60, ὤ μοι, Τυδέος υἱὲ δαΐφρονος ἱπποδάμοιο Il. 4.370, ὦ Σῶχ' Ἱππάσου υἱὲ δαΐφρονος ἱπποδάμοιο Il. 11.450. Was heißt das aber ? Heißt es »klug und tapfer ?« Oder heißt es »kriegerisch und tapfer« ? Mit allgemeinen Betrachtungen und Reden ist es hier nicht getan ! Der Homerische Sprachgebrauch muß beobachtet, die ähnlichen etwa sich findenden Formeln müssen gesammelt und untersucht werden. Die Erklärung »kriegerisch und tapfer« ist Ὁμηρικωτέρα : es ist die so häufige Homerische Figur ἐκ παραλλήλου, Wenn aber δαΐφρονος ἱπποδάμοιο »kriegerisch und tapfer« heißt, dann ist die höchste Wahrscheinlichkeit da, daß δαΐφρονα ποικιλομήτην überall »verstandig und klug« heißt, ebenfalls ἐκ παραλλήλου. Dann heißt also δαΐφρων in einem der edelsten Teile der Ilias (11.482, vgl. Lachmann Betrachtungen über Homers Ilias S. 38, zehntes Lied) entschieden = »klug«, nicht »tapfer«. Ein Beispiel anderer Art bietet der Name Polybos : Od. 15.519 heißt Polybos, der Vater des Eurymachos, δαΐφρων ; Od. 22.243 heißt ein anderer Polybos δαΐφρων, einer der Freier ; Od. 8.373 heißt ein dritter Polybos δαΐφρων, ein Künstler unter den Phäaken. Man darf mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß das Epitheton entweder mit dem Namen oder wegen der in der Sage schon vorhandenen Gleichnamigkeit aus einem Liede in andere Lieder für andere Personen hinübergenommen sei ; die älteste der drei Stellen scheint, aus anderweitigen Gründen, Od. 8.373 zu sein. – Auch die var. lect. muß sorgfältig beobachtet werden ; man denke z.B. an περίφρων und πολύφρων. Anstatt Ἀντιμάχοιο δαΐφρονος las Zenodot Ἀντιμάχοιο κακόφρονος Il. 11.123, 138, s. Scholl. (Didym. oder Aristonic., unbestimmt). Der Vers Od. 1.83 νοστῆσαι Ὀδυσῆα δαΐφρονα ὅνδε δόμονδε lautet in anderen Stellen νοστῆσαι (νοστήσειν) Ὀδυσῆα πολύφρονα ὅνδε δόμονδε, Od. 14.424, 20.239, 329, 21.204.
Uebersicht von Personen, denen das Epitheton δαΐφρων bei Homer gegeben wird:
1) Weiber : a) Des Laertes Frau, ohne Nennung des Namens, κουριδίης τ' ἀλόχοιο δαΐφρονος, Od. 15.356.
b) Penelope, nach dem oben vorgelegten Schol. Od. 1.48, auch nach Eust. Od. 21.6 p. 1897.63 εἰ δὲ δαΐφρων ἡ Πηνελόπη ἐρρέθη που ὡς ἀνδρεία γυνή, ἁρμόττει (leg. ἁρμόττοι ?) ἂν αὐτῇ διὰ τοῦτο καὶ ἡ παχεῖα χείρ διὰ τὸ τοῖς ἀνδρείοις τοιαῦτα ὡς ἐπὶ πολὺ τὰ ἀκρωτήρια εἶναι. Auf welche Stelle oder welche Stellen sich Eustathius und das Scholium beziehen, ist ungewiß ; es paßt in jeder Beziehung, auch in Hinsicht auf die Lieder-Einteilung der Odyssee, die Stelle Od. 15.41, wo wir im Text haben ἀγγελίην ἐρέοντα περίφρονι Πηνελοπείῃ.
c) Auch Kirke mag das Epitheton δαΐφρων in irgendwelcher Lesart gehabt haben ; vgl. Eust. Od. 8.448 p. 1604.28 τὸ δὲ δέδαε φρεσί δαΐφρονα συνθέτως βούλεται καὶ τὴν Κίρκην εἶναι· ὅθεν καὶ διδάσκαλος ποικίλου δεσμοῦ τῷ ποικιλόφρονι γίνεται Ὀδυσσεῖ. – In der Tat scheint den Alten das Epitheton δαΐφρων bei Weibernamen im Homer an sich unbedenklich und geläufig gewesen zu sein ; man vgl. unten δαΐφρονι Περσεφονείῃ, δαΐφρων Ἀλκμήνα, δαΐφρονι Πενθεσιλείῃ, δαΐφρων Τριτογένεια. All das würde nicht gesagt worden sein, wenn nicht die betreffenden Dichter an Homers unzweifelhaften Vorgang, wenn auch nicht gerade bei denselben Namen, geglaubt hatten.
2) Männer : Achilleus Il. 17.654 ; Aeneas Il. 20.267 ; Ajax Telamon. Il. 17.123 ; Alkinoos Od. 8.8 ; Anchialos, Vater des Taphiers Mentes, Od. 1.180 ; Antilochos Il. 13.418 ; Antimachos, ein Troer, Il. 11.123 ; Atreus Il. 2.23 ; Bellerophontes Il. 6.162 ; Diomedes Il. 5.181 ; Hippasos, ein Troer, Il. 11.450 ; Idäos, der Herold des Priamos, Il. 24.325 ; Idomeneus Il. 4.952 ; Kebriones, Wagenlenker des Hektor, Il. 16.727 ; Meriones Il. 13.164 ; Odysseus Od. 1.83 ; Orsilochos, Messenier, Od. 21.16 ; Pandaros Il. 4.93 ; Peleus Il. 18.18 ; Peneleos Il. 14.487 ; Phorkys, ein Troer, Il. 17.312 ; Polybos, Vater des Eurymachos, Od. 15.519 ; Polybos, einer der Freier, Od. 22.243 ; Polybos, Künstler unter den Phäaken, Od. 8.373 ; Priamos Il. 9.651 ; Sokos, ein Troer, Il. 11.456 ; Telemachos Od. 4.687 ; Tydeus Il. 4.370. Hektor scheint nirgends δαΐφρων zu heißen, während nicht nur sein alter Vater Priamos, sondern auch sein Wagenlenker Kebriones dies Epitheton hat. Man sieht hier wieder, wie augenscheinlich der Zufall im Homer ein weites Gebiet beherrscht. Ist auch das ein vorgelegten Stelle δαΐφρων heißt, Il. 11.482 ? In der Odyssee heißt Odysseus δαΐφρων 1.48, 83, 3.163, 7.168, 8.18, 21.223, 379, 22.115, 202, 281. Ist es Zufall, daß z.B. im 1. Buche der Ilias das Wort δαΐφρων gar nicht vorkommt, aber im 11. Buche acht Mal, vs. 123, 138, 197, 450, 456, 482, 791, 839 ? So im 2. Buche der Odyssee δαΐφρων gar nicht, im 1. Buche dagegen vier Mal, vs. 48, 83, 180, 418 ; im achten Buche der Odyssee fünf Mal, vs. 8.13, 18, 56, 373, dagegen im 17. u. 18. Buche der Odyssee gar nicht. So viel steht aus anderen Gründen fest, daß das 17. u. 18. Buch der Odyssee ein zusammenhängendes Lied eines Dichters sind, abgerechnet größere wie kleinere Interpolationen ; und das 1. u. das 2. Buch der Odyssee sind zwei in ihrem Wesen sehr verschiedene Lieder, von verschiedenen Dichtern.
Bei den Auktoren nach Homer erscheint ebenfalls δαΐφρων als Epitheton von Personen : Hes. O. 654 δαΐφρονος Ἀμφιδάμαντος ; Scut. 119 Iolaos δαΐφρων ; H.h. Cerer. 360 δαΐφρονι Περσεφονείῃ ; Pind. P. 9.84 δαΐφρων Ἀλκμήνα ; Qu.Sm. 1.47 δαΐφρονι Πενθεσιλείῃ ; 1.128 δαΐφρων Τριτογένεια. – Von Sachen : Aeschyl. Sept. 917 γόος δαΐφρων, Dindorf. δαϊόφρων ; Qu.Sm. 1.218 ἀλκῆς δαΐφρονος, mit μνήσασθαι, ἀλκῆς μνησώμεσθα δαΐφρονος, wie ταιτο δὲ θούριδος ἀλκῆς Od. 4.527, μνησάσκετο θούριδος ἀλκῆς Il. 11.566.
Pape, Griechisch-deutsches Handwörterbuch (3. Aufl., 1914)